Gute Vorbilder schaffen

Interview mit Ron Kuhwede

Geführt im Dezember 2023 von Joachim Feigl, Institut für Fotopsychologie | Frei bearbeitet und angepasst von Ron Kuhwede

Herr Kuhwede, wie sehr interessiert Sie künstlerische Fotografie?

Mich interessiert das Erschaffen mehr als das Betrachten. Wenn ich künstlerische Fotografie betrachte, dann ist das vielleicht ein Drittel meines Interesses. Mein Interesse gilt dabei vor allem Porträts, fotografischen Inszenierungen und dokumentarischen Arbeiten, wenn man letzter zur künstlerischen Fotografie zählen mag. Aber mein Hauptfokus liegt immer beim Machen, nicht beim Anschauen.

Was macht für Sie künstlerische Fotografie aus?

Sie ist für mich dann künstlerisch, wenn sie ein menschlich relevantes oder persönliches Thema bedient. Wenn sie nicht dem Zweck dient, wirtschaftliche Interessen zu bedienen – weder von Auftraggebern noch vom Fotografen selbst. Sondern wenn da der Wunsch spürbar ist, einen kleinen Beitrag zu leisten, die Welt ein Stück lebenswerter zu machen. Das kann sehr unterschiedlich aussehen, aber für mich ist das der Kern.

Wie wichtig ist dabei die emotionale Ebene?

Sehr. Mich muss ein Bild zuerst auf einer emotionalen Ebene erreichen, sonst bin ich gar nicht bereit, mich inhaltlich darauf einzulassen. Es muss etwas in mir ansprechen, ein Gefühl, eine Sichtweise, ein innerer Widerhall. Erst dann entsteht bei mir die Bereitschaft, mich auch inhaltlich damit auseinanderzusetzen.

Welchen Stellenwert haben Schönheit und Ästhetik für Sie?

Für mich ist das ein untrennbarer Zusammenhang. Ich habe da vielleicht eine etwas romantische oder klassische Sicht: Kunst hat die Aufgabe, die Schönheit der Schöpfung zu zeigen. Gute Vorbilder zu schaffen. Gerade in dieser Zeit, in der wir medial von Destruktivem überflutet werden, sehe ich es als die Aufgabe der Kunst, etwas Aufbauendes beizutragen. Etwas, das zeigt, wie es besser gehen kann.

Wie wichtig ist Ihnen die Person hinter dem Kunstwerk – der Künstler oder die Künstlerin?

Natürlich kann das interessant sein, vor allem wenn ich durch die Intention vielleicht noch mal einen anderen Blickwinkel bekomme. Aber grundsätzlich finde ich: Ein Kunstwerk sollte immer für sich stehen können. Was jemand währenddessen emotional durchlebt hat, ist für mich eher Teil des persönlichen Prozesses, nicht des Werkes an sich. Ich trenne zwischen der Sache und der Person.

Gibt es eine klare Trennung zwischen Kunst und Nicht-Kunst?

Nicht immer. Da gibt es viele Zwischenstufen. Gerade bei Arbeiten, die irgendwo zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellem Zweck entstehen. Manchmal ist es schwer zu sagen, wo das eine aufhört und das andere anfängt. Die Grenzen verschwimmen oft. Doch allgemein würde ich sagen, wahre Kunst schöpft aus dem Geistigen und Nicht-Kunst beschäftigt sich mit dem irdischen.

Wie gehen Sie bei der Bewertung künstlerischer Fotos vor?

Ich schaue auf drei Dinge: das Thema, die Form und das Handwerk. Wenn diese drei stimmig zusammenspielen, dann entsteht für mich Qualität. Dabei versuche ich auch zu berücksichtigen, ob etwas schon tausendmal gesagt wurde. Muss ich dann wirklich auch noch meine tausendunderste Meinung dazugeben? Ich finde, Kunst sollte sich auch bewusst sein, in welchem Umfeld sie wirkt.

Wie erleben Sie die Auswahl durch Experten, Kuratoren, Jurys?

Oft verstehe ich aus meiner persönlichen Sicht nicht, warum bestimmte Arbeiten ausgewählt wurden. Ich sehe, warum das aus einer kuratorischen Perspektive vielleicht passt – aber für mich selbst ist es dann nicht stimmig. In den meisten Ausstellungen gehe ich eher unbefriedigt wieder raus. Es gibt Ausnahmen, ja. Aber sie sind selten.

Sind künstlerische Bilder automatisch schön für Sie?

Sie sollten die Schönheit in sich bergen, das wäre der Idealfall. Doch da viele ein anderes Verständnis von Kunst haben, als ich, finde ich die Schönheit nur selten in der Kunst. Es sind Verzerrungen der Realität oder Phantasien. Die können eine gewisse Ästhetik versprühen, doch diese ist etwas anderes als wahre Schönheit. 

Gibt es Genres, die für künstlerische Fotografie besonders geeignet sind?

Ich denke schon. Für mich ist es ganz klar die Porträtfotografie und die inszenierte Fotografie. Bei ersterer ist oft schwer greifbar, was genau den Unterschied macht. Warum ist ein Passbild kein künstlerisches Porträt? Und manchmal liegt genau darin der Reiz: eine Facette der Seele sichtbar zu machen. Landschaftsfotografie dagegen ist für mich schwieriger als künstlerisch zu empfinden. Da geht es eher um Stimmung, weniger um Aussage.

Hat sich Ihre Sichtweise auf künstlerische Fotografie über die Jahre verändert?

Ja, und sie verändert sich ständig. Am meisten hat sich verändert, seit ich für mich eine klare Antwort auf die Frage gefunden habe, was Kunst leisten soll. Seitdem sehe ich Bilder anders. Ich habe einen inneren Maßstab entwickelt, der mich leitet.

Wie ist es mit Ihren eigenen Bildern – wann empfinden Sie sie als künstlerisch?

Bei meinen Porträts kann ich das selbst kaum beurteilen. Ich merke nur, dass die Reaktionen von außen oft sehr unterschiedlich sind. Bei meinen inszenierten Arbeiten ist das klarer. Da ist von Anfang an das Thema im Vordergrund, die Botschaft. Da geht es nur darum, neue Sichtweisen anzustoßen. Und damit ist für mich der künstlerische Charakter gegeben. Ob sie künstlerisch wertvoll sind, das entscheiden andere.